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Immer wieder stolpere ich über die Bezeichnung „Testfahrer“ im Umfeld der professionellen Erprobung. Ich bin auch heute noch darüber entsetzt. Um das zu verstehen ein kleiner Ausflug in die Geschichte der automobilen Entwicklung.

Historisch gab es in den deutschen Automobilunternehmen eine Trennung zwischen der Konstruktion und dem Fahrversuch. Der Konstruktion war für die Vorbereitung bis zum Aufbau der Prototypenfahrzeuge verantwortlich. Der Fahrversuch hat die Erprobung übernommen. Im Fahrversuch waren die Menschen zu Hause, die Benzin im Blut hatten und schrauben konnten.

Innerhalb des Fahrversuchs gab es Fahrer, die regelmäßig Fahrerprobungsaufgaben wahr genommen haben. Und es gab Fahrer, die die zahlreichen hochkomplexen Fahrmanöver absolviert haben. Diese Fahrer waren, wenn sie regelmäßig fuhren Dauerlauffahrer und wenn sie die hoch komplexen Fahrmanöver absolvierten Versuchsfahrer. Beide Berufsstände waren früher etwas Besonderes, so zu sagen eine eigene Spezies.

Ab etwa Anfang der 2000er versuchten die Automobilhersteller den Bereich Dauerlauffahrer systematisch auszulagern. Der Dauerlauf war kein wesentlicher Wettbewerbsvorteil mehr. also machte es auch Sinn, sich von dieser Aufgabe zu trennen. Natürlich gab es auch Fehler bei der Auslagerung des Dauerlaufs. Dauerlauf ist eine begriffliche Abkürzung für die Fahrzeugdauererprobung. Die Fehler in der Auslagerung der Dauererprobung waren primär im Qualitätsanspruch und in der Qualitätsnachsteuerung zu suchen.

Die Fahrzeugdauererprobung wurde also zu weiten Teilen ausgelagert. Das Problem war aber, dass sich jetzt und auch heute noch einige Menschen glaubten in diesem Bereich das schnelle Geld machen zu können. Diese Geschäftemacher beschäftigten Mitarbeiter und vergüteten Überstunden auf der Basis eines geringfügigen Arbeitsvertrages oder suchten andere Möglichkeiten zur Umgehung der Zahlung von Sozialabgaben und Steuern.

Dies führte ungefähr ab 2006 zu einem Brodeln unter vielen Versuchsfahrern. Das ist nachvollziehbar. Die Presse nahm diese Unsicherheit der Menschen auf und brachte zahlreiche wenig qualifizierte und teilweise sachlich falsche Meldungen zum Thema „Testfahrer“. Jetzt kommen wir auf den Schlüsselbegriff.

Was ist ein Testfahrer? Ein Testfahrer ist im eigentlichen Verständnis ein Leser einer Automobilzeitung, wie zum Beispiel der AutoBild oder der Auto Motor Sport. Diese Zeitschriften suchen immer mal wieder Testfahrer, die ein Auto anlässlich der Markteinführung oder einer Promotion-Maßnahme fahren. Anschließend sollen sie sagen, ist das Auto gut oder schlecht oder was auch immer. Sie sollen es eben nach ihrer Wahrnehmung testen. Mit systematischer Erprobung hat das nichts zu tun.

Ein Testfahrer ist folglich auch kein Fahrzeugerprober. Er ist auch kein Dauerlauffahrer. Er ist jemand, der ein Fahrzeug eben mal fährt. Ein Fahrzeugerprober, Dauerlauffahrer oder Erprobungsfahrer ist jemand, der Prüfprogramme absolviert und hier fundierte Bewertungen in den Entwicklungs- oder Freigabeprozess zurückmeldet. Er arbeitet nachvollziehbar und objektiv. Seine Arbeit dokumentiert er nachvollziehbar und objektiv. Die Prüfprogramme sind dabei eben nicht durch die Gegend fahren. Es handelt sich um teilweise sehr langweilige teilweise sehr anspruchsvolle Tätigkeiten, die wiederholbar gleich ausgeführt werden müssen.

Ab ca. 2010 begann die Rentenversicherungsanstalt die Selbständigkeit der Hartzgesetze in Frage zu stellen. Rechtswidrig versuchten dann die Behörden mit Unterstützung des Zolls von den OEMs und den Unternehmen aus der Fahrzeugerprobung Sozialversicherungsbeiträge zu erpressen. Das war für die zahlreiche Medien ein gefundenes Fressen. Ab diesem Zeitpunkt bürgerte sich die Bezeichnung „Testfahrer“ auch in der Fahrzeugerprobung ein. Damit begann der Abstieg des Berufsbildes. Fahrzeugerprober wurden als zweite Wahl Menschen dargestellt. Viele gute Fahrzeugerprober verließen damit die Branche.

Tatsache ist, mit dem kriminellen Auftreten von Zoll als Schutzgelderpresser und Rentenversicherungsanstalt als kriminellem „Paten“ endete die glorreiche Zeit der gesamten Branche. Man kann sagen, mit dem Aufkommen des Begriffs „Testfahrer“ reduzierte sich die Anzahl der Arbeitsplätze für Versuchsfahrer in Deutschland und die Aufgabe Versuchsfahrer wurde zu einer Aufgabe für Ungelernte. Das versuchten die OEMs etwas dadurch zu kompensieren, dass sie Qualitätsstandards definierten. Dies ist aber lediglich eine formale Schönfärberei für das Sterben eines eins glorreichen Berufsstandes.

In der Zukunft wird der intellektuelle Anspruch an die Fahrzeugerprobung weiter steigen. Ein großer Teil der Aufgaben, die heute noch durch Versuchsfahrer zu leisten sind, werden von Robotern erledigt werden. Der Bedarf an Versuchsfahrern reduziert sich durch die steigende Anzahl von Elektrofahrzeugen. Damit sinkt der Bedarf zur Absicherung der Verbrennungsmotoren, einer der Hauptaufgaben des Dauerlaufs in der Vergangenheit. Aber auch der Bedarf an Fahrwerkserprobungen wird zurück gehen. Durch die tiefe Schwerpunktlage der Elektrofahrzeuge sinkt die Notwendigkeit Fahrwerke ausgiebig zu testen.

Auf mittlere Sicht werden zahlreiche Versuchsfahrer in Deutschland arbeitslos werden oder in andere Berufe wechseln. Die verbleibenden Versuchsfahrer werden sich mit deutlich komplexeren Aufgabenstellungen auseinander setzen. Anders als früher wird die Haupttätigkeit von Versuchsfahrern nicht mehr das Fahren sondern das Bedienen von Messvorrichtungen und die Dokumentation werden.

 

Für Fragen, Anregungen und Diskussionen steht Ihnen der Autor gerne zur Verfügung.

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