Dieser Artikel erschien 2015 als Whitepaper. Er ist im Original als Download verfügbar unter http://www.peter-saubert.net/downloads/ unter dem Punkt Lösungsansatz für die fortlaufende Qualifikation von Mitarbeitern in Werkstätten.

Einleitung

Aus unterschiedlichen Gründen gibt es die Forderung Mitarbeiter in Werkstätten zu qualifizieren. Dies kann z.B. die werkvertragkonforme Qualifikation bei Lieferanten oder die Qualifikation in Vertragswerkstätten sein. Das grundsätzliche Problem in allen Fällen ist:

  • Derjenige, der an der Qualifizierung interessiert ist, hat keine Weisungsbefugnis gegenüber dem Mitarbeiter, der qualifiziert werden muss.

UND

  • Derjenige, der die Weisungsbefugnis hat, hat Gründe, die gegen den Aufwand der Qualifizierung sprechen. Primär sind das kurzfristige wirtschaftliche Ziele.

Wir haben es also mit zwei grundsätzlich konträren Standpunkten zu tun. Um den Lösungsansatz zu verstehen, sollen die Standpunkte weiter erläutert werden.

Dass Mitarbeiter qualifiziert werden müssen, darüber besteht kein Zweifel. Der Mitarbeiter ist aber während der Qualifizierung nicht produktiv und kostet Geld. Der Werkstattunternehmer investiert mit der Qualifizierung in die Qualität seines Personals. Er geht damit ein Risiko ein. Der qualifizierte Mitarbeiter könnte ihn zum Beispiel verlassen oder die Qualifikation könnte sich in kurzer Zeit als überholt heraus stellt. In diesen Fällen hat der Unternehmer Geld durch seine Investition vernichtet. Aus diesem Grunde sind Werkstattbetreiber mit Investitionen in die Qualifizierung sehr zurück haltend.

Auf der anderen Seite wird durch die OEM ein großer Aufwand mit der Aufbereitung von Schulungsunterlagen und Schulungsansätzen betrieben. Ein Problem ist, dass in unserer agiler werdenden Zeit die Qualifikationsunterlagen schneller überholt sind. Damit entsteht oft der Eindruck, dass es effizienter wäre, wenn man auf die Qualifizierung ganz verzichten könnte und die Arbeit gleich selber macht.

Das Problem ist also in jedem Fall der hohe Aufwand. Auf der einen Seite für die Aufbereitung und auf der anderen Seite mit der Vermittlung. Um diesen Prozess effektiv zu gestalten, geht es also um die Reduzierung von Aufwand.

Was muss also gemacht werden, um eine gezielte Qualifikation mittels geringem Aufwand zu erreichen?

Um ein wirksames Qualifikationssystem zu finden, soll zunächst der zu Qualifizierende analysiert werden. Qualifiziert werden müssen in der Regel Werkstattmitarbeiter. Die Stärken von Werkstattmitarbeitern liegen im Bereich des haptischen bzw. praktischen Arbeitens. Diese Stärke ist Grundvoraussetzung für einen guten Werkstattmitarbeiter. In der Folge spielen andere Fähigkeiten eine geringere Rolle. Diese sind dann oft weniger gut ausgebildet. Oft zählen zu den weniger entwickleten Stärken oder zu den Schwächen das abstrakte Denken oder der Umgang mit Schriftlichkeit. Klassische Schulungssysteme nutzen aber gerade das geschriebene Wort und die Abstraktion als Fortbildungsmittel.

Wie wird sich ein typischer Werkstattmitarbeiter jetzt eine ideale Mitarbeiterqualifikation wünschen? Dazu zerlegen wir zunächst einmal den Prozess in die einzelnen Arbeitsschritte.

  1. Arbeitsplanung
    1. Prüfung, ob notwendige Werkzeuge vorhanden sind
    2. Prüfung, ob notwendiges Material vorhanden ist
    3. Prüfung, welche Eingangsqualifikationen notwendig sind (z.B.
    4. Sicherheitsunterweisungen auf ein gefährliches System)
    5. Prüfung, welche sicherheitsrelevanten Freigaben notwendig sind
    6. Beschaffung der fehlenden Umfänge
    7. Kommissionierung
  2. Arbeitsplatzvorbereitung
    1. Prüfung der Kommissionierung
    2. Bereitlegung der notwendigen Werkzeuge
    3. Bereitstellung des Fahrzeugs
    4. Sicherung des Arbeitsplatzes
    5. ggf. Einholen von sicherheitsrelevanten Freigaben
  3. Erledigung Arbeitsauftrag
    1. Durchführung des Umfanges 
    2. Klärung von Abweichungen zur Planung
    3. Beschaffung von Abweichumfängen zur Planung
    4. ggf. Arbeitsunterbrechung
    5. Rückmeldungen über Abweichungen und Arbeitsunterbrechungen
  4. Arbeitsplatznachbereitung
    1. Entsorgung Altteile
    2. Rückgabe der notwendigen Werkzeuge
    3. Abnahme des Fahrzeugs durch einen Prüfer
    4. Rückgabe des Fahrzeugs
    5. Rückmeldung der Erledigung an die beteiligten Parteien f. Reinigung Arbeitsplatz
Bild Prozessablauf der Arbeiten des Werkstattmitarbeiters in Versuchswerkstätten (Quelle: Fahrversuch Süd)

Prozessablauf der Arbeiten des Werkstattmitarbeiters in Versuchswerkstätten (Quelle: Fahrversuch Süd)

Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass zwischen dem Beginn und dem Ende des Umfangs mehrere Tage, manchmal auch Wochen und Monate liegen können. Typisch für heutige Arbeitunterlagen ist, dass man sich immer wieder in die Unterlagen einarbeiten muss. Es wäre also sinnvoll, wenn man ein System darstellen könnte, dass die Unterlagen dann bereit stellt, wenn sie benötigt werden, d.h. die Qualifikationsunterlagen sind je Prozessschritt aufgezeichnet und besitzen je Projektschritt eine Checkliste, die die Erledigung sicher stellt.

Planung und Vorbereitung

Beim Blick auf den Prozess wird sofort klar, dass es je Prozessschritt ideale Arbeitsunterlagen gibt. z.B. sollte sich die Qualifizierung für typische Prüf- und Kommissioniervorgänge an Checklisten orientieren. Häufig ist hier die ideale Schulungsunterlage eine Liste mit Erläuterungen der kritischen Punkte, mit der man (ggf. ausgedruckt) arbeiten kann. Es handelt sich hier also um reine Arbeitsunterlagen, die bereit gestellt werden müssen. Pädagogisch sprechen wir hier also über das angeleitete Lernen. Durch Wiederholen der Arbeit wird der Mitarbeiter nach und nach qualifiziert. In diesem Ansatz ist der Mitarbeiter im Rahmen seiner Fortbildung produktiv. Durch die Wiederholung steigt die Produktivität des Mitarbeiters.

Achtung! Dies ist keine Rechtsberatung! Hier werden nur zu prüfende rechtliche Aspekte im Rahmen der Prozessgestaltung benannt.

Arbeitssicherheit

Dieses Konzept ist im Bereich des Arbeitsschutzes vollkommen ungeeignet. Die Forderungen der Berufsgenossenschaften ist, dass der Arbeitnehmer im Rahmen der Unterweisungspflicht Gefahren selbständig erkennen und vermeiden kann. Aus diesem Grund bietet sich hier das Lernen durch Einsicht an. Dem Mitarbeiter müssen grundsätzliche Zusammenhänge und Gefahren vor Augen geführt werden. Er muss sich mit der Problemstellung auseinander setzen. Das ist nicht einfach, da gerade für diesen Bereich oft das Verständnis bei den Werkstattmitarbeitern vollkommen fehlt.

Die häufig gewählte Methode, dass ein Dozent Inhalte des Arbeitsschutzes doziert und anschließend die Anwesenheit durch den Werkstattmitarbeiter durch Unterschrift bestätigt wird, ist auch keine Lösung. Der Werkstattunternehmer muss neben der Teilnahme dokumentieren, dass das Thema Verstanden wurde. Das funktioniert mit den typischen Unterschriftslisten nicht.

Im Zweifelsfall geht es nach einem Unfall um eine lebenslange Rente. Sollten die Berufsgenossenschaften hier Ansatzpunkte finden, die auf eine Pflichtverletzung in der Unterweisungs- oder Dokumentationspflicht hinweisen, wird die Rente nicht durch die Berufsgenossenschaft sondern durch den verantwortlichen Unternehmer gezahlt. In wie weit hier Durchgriffshaftungen gegen den OEM geltend gemacht werden, kann nicht abgeschätzt werden. Der Schluss, der OEM hat mir ja die Unterlagen aufbereitet und hat damit seiner Sorgfaltspflicht nicht genüge getan, ist nicht abwegig.

Wie muss das Qualifikationssystem funktionieren?

Es wird also ein System benötigt, dass folgenden Anforderungen gerecht wird:

  1. Mitarbeiterqualifikation auf dem Konzept „Lernen durch Einsicht“
  2. Nachweis, dass der Inhalt der Schulung durch den Teilnehmer verstanden wurde
  3. Dokumentation von Teilnahme und Verständnis

Ein derartiges System wurde von der Fahrversuch Süd entwickelt und eingesetzt. Es handelt sich hierbei um das elektronische Lernsystem MiQuS. Hier wird der Lernstoff durch unterschiedliche Medien (z.B. Text, Videos) vermittelt. Der Mitarbeiter wird nach Abschluss eines kurzen Abschnitts durch gezielte Prüfungsfragen in die Situation gebracht, sich mit der Problemstellung auseinander zu setzen. Damit weist er nach, dass er das Thema verstanden hat. Damit ist die Einsicht dokumentiert.

Bild Prinzipdarstellung der Funktion eines werkvertragskonformen Ausbildungssystems in der Umsetzung Miqus (Quelle: Fahrversuch Gruppe)

Prinzipdarstellung der Funktion eines werkvertragskonformen Ausbildungssystems in der Umsetzung Miqus (Quelle: Fahrversuch Gruppe)

In der Vergangenheit gab es gelegentlich den Einwand, dass die Prüfung ja jemand anderes gemacht haben könnte und damit der Nachweis wieder nicht erbracht wäre. Dies wurde damit gelöst, dass der Mitarbeiter einen eigenständigen Account für seine Schulungen erhalten hat und er selbst am Ende der Schulung bestätigen musste, dass er die Schulung selbst durchgeführt hat. Diese Bestätigung wurde verstärkt durch den Hinweis, dass eine Falschaussage an dieser Stelle einen Straftatbestand der Falschaussage genügt.

Für den Unternehmer ist an dieser Stelle wichtig, dass er davon ausgehen kann, dass kein Mensch eine Straftat begeht, um eine Schulung nicht machen zu müssen. Damit ist durch dieses Vorgehen der Pflicht des Unternehmers genüge getan. Es entfällt somit auch eine eventuelle Durchgriffshaftung.

Bei der Steuerung von Unterweisungen ist allerdings darauf zu achten, dass ggf. eine persönliche Unterweisung für bestimmte Systeme durch die Berufsgenossenschaft vorgeschrieben ist. Beispiel hierfür sind nicht eigensichere Hochvoltsysteme. Hier ist die Dozenten-Methode zwingend einzuhalten. Ich empfehle hier die Unterweisung am elektronischen Lernsystem, wobei der Dozent dem Mitarbeiter am Schulungssystem die Problemstellungen erklärt. Im Anschluss wird eine Prüfung im elektronischen Lernsystem durch den Mitarbeiter durchgeführt.

Allerdings ist der Mitarbeiter während der Unterweisung bzw. Schulung zum Arbeitsschutz nicht produktiv. Dies folgt der Logik der Berufsgenossenschaft und lässt sich nicht ändern. Die Effizienz wurde innerhalb der Fahrversuch Gruppe so gesteigert, dass dem Mitarbeiter die Schulung innerhalb seiner Freizeit aufgetragen wurde. Für die erfolgreiche Prüfung wurde dem Mitarbeiter ein vorher festgelegtes Zeitguthaben gut geschrieben. Damit hatte der Mitarbeiter ein ernst zu nehmendes Interesse an der schnellen Erledigung der Unterweisung.

Qualifikation für Reparatur und Umbau

Als letzter großer Block im Bereich Qualifikation von Werkstattmitarbeitern verbleibt die Arbeitsanleitung für Reparatur oder Umbauprozesse. Diese Anleitungen werden während der Arbeiten direkt am Fahrzeug benötigt. In der Regel überfliegt der Werkstattmitarbeiter die Arbeitsumfänge kurz, um dann in einer Liste nachzusehen, was er ggf. gerade nicht überblickt oder nicht versteht.

Hier möchte ich einen neuen Ansatz vorschlagen. Das Schreiben von Werkstattanleitungen ist sehr aufwendig. Das Lesen erfordert wieder erheblich Zeit. Eine Vereinfachung wäre die Dokumentation im Rahmen eines Videos aufzuzeichnen. Die Produktion eines Videos wird in etwa soviel Zeit in Anspruch nehmen, wie die Vorbereitung für eine Reparaturanleitung. Der Aufwand des Schreibens entfällt. Damit wird beim OEM der Aufwand reduziert.

Der Werkstattmitarbeiter sieht im Video, was gemacht wird. Damit entfallen viele Unklarheiten, die durch Sprache schwer zu vermitteln sind. Weiterhin kann der Mechaniker die Arbeit parallel zum Video machen, ggf. vor- oder zurückspulen und damit entsprechend seiner Fähigkeit produktiv arbeiten. Der pädagogische Ansatz hierfür ist das Lernen am Modell bzw. in seiner einfachsten Form Learning by doing. Das Lernen am Modell kann durch die Anschaulichkeit deutlich verstärkt werden. Weiterhin ist es möglich Rand- oder Hintergrundinformationen zu vermitteln, während der Fokus des Lernens auf dem in Bildern dargestellten Abläufen liegt. Über diese direkte Interaktion wird sich beim Werkstattmitarbeiter ein schnellerer Lernerfolg einstellen. Gleichzeitig sinkt die unproduktive Zeit.

Diese Videos können ergänzt um andere Arbeitsunterlagen in das elektronische Schulungssystem integriert werden. Damit wäre ein System durchgängig vorhanden. Dies vereinfacht damit auch das Qualitätsmanagementsystem.

Rückmeldungen im Qualifikationssystem

Gelegentlich werden bei der Erstellung von Qualifikationsunterlagen Fehler gemacht. Gibt es hier keine Rückmeldungen, bleiben die Fehler im System. Andere Mitarbeiter machen immer wieder die gleichen Fehler.

Es macht Sinn innerhalb des Systems Raum für Rückmeldungen zu Verbesserungen, Fehlern oder didaktischen Abläufen zu schaffen. Mit dem in der Fahrversuch Gruppe genutzten System war das problemlos möglich. Eine Ergänzung um „Likes“ oder ähnliches kann zu Förderung der Interaktion Sinn machen.

Im System, dass die Fahrversuch Gruppe einsetzte, war auch die Geheimhaltung sicher gestellt. Der Mitarbeiter verfügte über einen eigenen Login. Die Aktivitäten wurden getrackt. Ein Download von Unterlagen konnte Einzelfallbezogen unterbunden werden. Dokumente konnten mit Kennungen versehen werden, die eine Rückverfolgung ermöglichten. Das System kann in einer Cloudlösung oder hinter einer Firewall installiert werden. Das System ist verfügbar und muss aber für einen Betrieb neu aufgesetzt werden.

Für Fragen, Anregungen und Diskussionen steht Ihnen der Autor gerne zur Verfügung.

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